Frühkindliche Reflexe
Ein Reflex ist eine unwillkürliche, gleichartige Reaktion auf einen bestimmten Reiz. Es gibt unterschiedliche Reflexe, die für unseren Körper wichtig sind und uns schützen. Wie z.B. der Lidschlussreflex, als Schutzmechanismus des Auges.
Die ersten Reflexe, die unser System aufbaut, sind die primitiven oder frühkindlichen Reflexe. Sie beginnen im Mutterleib, helfen bei der Geburt und sind in der frühsten Kindheit aktiv. Durch diese unterschiedlichen frühkindlichen Reflexe kommen wir erst in Bewegung. Sie sind oftmals voneinander abhängig, um für bestimmte Aufgaben in Ihre Aktivität zu kommen und integrieren sich bis spätestens zum dritten Lebensjahr.
Jedes Baby verfügt über frühkindliche Reflexe wenn es das Licht der Welt erblickt.
Auch wenn willkürliche Bewegungen noch schwierig sind, dienen diese frühkindlichen Reflexe dem Überleben.
Aktives Zugreifen ist nicht möglich, aber dennoch finden Babys die Brust der Mutter relativ schnell und beginnen zu trinken.
Mediziner bezeichnen jedes kindliche Verhalten, welches sich durch einen äußeren Reiz hervorrufen lässt, als frühkindlichen Reflex. Die primitiven Reflexe sind teils der ständigen Anpassung im Mutterleib geschuldet, andere, wie der Saug-Schluck-Reflex, sichern das Überleben.
Ärzte testen bereits unmittelbar nach der Geburt die frühkindlichen Reflexe. Die wichtigsten weiteren Reflexe werden stets in den U-Untersuchungen durch den jeweiligen Kinderarzt abgeklärt.
Furcht-Lähmungs-Reflex (FLR)
Erster frühkindlicher Reflex
Der Furcht-Lähmungsreflex, kurz FLR, dient dazu, die natürlichen Stressschutzmechanismen des Menschen zu entwickeln. Er sorgt für angemessenen Umgang mit Stress-/ Schrecksituationen.
Der FLR entsteht in der 5. Schwangerschaftswoche (SSW) und geht in der 12. SSW in den Mororeflex über.
Der FLR und der Moro bereiten das System auf lebensbedrohliche Situationen vor, indem der Körper auf Flucht oder Kampf eingestellt wird. Das System wird unmittelbar in Erregung versetzt, ein schnelles Einatmen, kurzes Erstarren (FLR) und einem anschließenden Aufschrecken (Moro).
Anzeichen
- geringe Stresstoleranz
- Probleme mit dem Gleichgewicht
- schlaffer Muskeltonus/Körperhaltung
- Konfliktvermeidung
- Trennungsängste
- Schulängste
- Erstarren in einer Schrecksituation (ohne Reaktionsmöglichkeit)
Moro-Reflex
Löst den FLR ab
Der Mororeflex dient im Mutterleib dazu, die Nabelschnur vom Baby wegzuhalten, damit sich diese nicht um den Hals wickelt.
Der Moro-Reflex sollte nach 4 Monate in die reife Schreckreaktion übergehen. Bleibt er jedoch nach wie vor aktiv, werden reflexartig immer wieder Stresshormone ausgeschüttet. Dies bewirkt eine noch höhere Sensibilität (Überempfindlichkeit auf Sinneseindrücke), was wiederum eine erneute Ausschüttung erfolgen lässt.
Bei einem höheren FLR-Anteil wird das Kind eher mit Rückzug (Flucht) reagieren und bei einem höheren Moro-Anteil eher mit Aggression (Kampf). Kinder mit einem aktiven Mororeflex lieben Routine, sie mögen keine Überraschungen und haben oft Schwierigkeiten Entscheidungen zu fällen.
Anzeichen
- gesteigerte Infekt-Anfälligkeit (insbesondere Haut, Nasenschleimhaut und Bronchien)
- schlechte Anpassungsfähigkeit
- Ängstlichkeit bis zu Panik/Schulangst/Phobien
- Stimmungsschwankungen
- Überreagieren, der Situation nicht angemessen
- Neigung zu ständig wiederholenden Verhaltensmustern
- zunehmende Desorientierung
Bonding-Reflex
Dieser Reflex ist der emotionale Abschluss der Geburt: der Herzschlag der Mutter entspannt, beruhigt, sorgt für die Bindung und emotionale Beziehungen.
Das Bonding ist sehr wichtig und muss schon als Baby gelernt werden, damit das Kind im späteren Leben selbst Liebe geben und empfangen kann.
Bonding ist eine überlebensnotwendige Ressource und Grundlage für psychische Gesundheit und Selbstvertrauen.
Anzeichen
- kein Selbstvertrauen
- ängstlich
- geringe Stresstoleranz und wenig Selbstschutz in Stressmomenten
- provoziert gerne
- Problem mit Autoritäten
- abhängig von sozialer Anerkennung
- will nicht gern alleine sein, weint sehr viel
Tonischer Labyrinthreflex (TLR)
Durch die Wechselbewegung des Kopfes wird der Muskeltonus und die Körperwahrnehmung trainiert. Dies brauchen wir für eine gute Kopf- und Körperhaltung.
Bei diesem frühkindlichen Reflex kommt es bei einer Vorwärtsneigung des Kopfes automatisch zu einer Krümmung des gesamten Körpers.
Umgekehrt verhält es sich, wenn der Kopf in den Nacken gelegt wird. Es erfolgt eine Streckung des Körpers nach hinten.
Bleibt der tonische Labyrinth-Reflex über den 3. Lebensmonat hinaus bestehen, gibt es oft Probleme in dem Bereich des Gleichgewichts. Eine schlechte Balance sowie eine zu hohe Muskelspannung führen oftmals dazu, dass Kinder sich nur sehr wenig bewegen, was die Problematik zusätzlich verschärft.
Anzeichen
- Muskelverspannung
- Gleichgewichtsstörung
- langsames Arbeiten
- Stehen ist anstrengend
- schlaffe Körperhaltung, runder Rucken, schwacher Muskeltonus
- ständig in Bewegung um das Gleichgewicht zu halten (motorische Unruhe)
- Probleme beim Erkennen von logischen Reihen und Mustern
- Probleme mit dem Sprachaufbau und Buchstabenfolgen
- schlechtes Kurzzeitgedächtnis
Landau Reflex
Die Atemexkursion und der Entdeckerdrang heben den Oberkörper. Nacken- und Beckenmuskeln arbeiten anfänglich synchron, sollten im Erwachsenenalter aber entkoppelt funktionieren können.
Ziel ist die getrennte Anspannung von Rumpf und Atemmuskulatur, so dass Rumpf- und Zwerchfellmuskulatur unabhängig agieren.
Anzeichen
- steife Körperhaltung
- Schwierigkeiten bei der Koordination von Ober- und Unterkörper
- Beine sind angespannt / Knie meist durchgedrückt
- Probleme beim Erlernen des Brustschwimmens
- Schwierigkeiten beim Hüpfen und Springen
- schlechte Ausdauer
Symmetrisch Tonischer Nackenreflex (STNR)
Beim STNR wird durch die Beugung des Kopfes nach vorn und hinten eine Bewegung der Extremitäten ausgelöst. Das Senken des Kopfes zur Brust führt zu einer symmetrischen Beugung der Arme und zur Streckung der Beine. Das Strecken des Kopfes in den Nacken verursacht eine Beugung der Beine und eine Streckung der Arme.
Bleiben starke Reste des STNR bestehen, so verhindern diese unter Umständen das Krabbeln. Die Kinder entwickeln andere Arten der Fortbewegung – rollend, auf dem Po rutschend oder sie stehen sehr früh auf und beginnen zu laufen.
Bleiben Restreaktionen des STNR hat dies häufig Auswirkungen auf die Sitzhaltung.
Beim Arbeiten am Tisch ist eine gleichzeitige Beugung von Kopf, Armen und Beinen notwendig. Der STNR wirkt dieser Haltung jedoch entgegen. Beugen sich Kopf und Arme, so strecken sich Hüfte und Kniegelenke. Die Kinder lümmeln deshalb häufig am Tisch. Sie sitzen mit gestreckten Beinen auf der Stuhlkante oder unterdrücken den Reflex, indem sie die Beine fixieren. Sie schlingen sie entweder um die Stuhlbeine oder ziehen sie auf den Stuhl und setzen sich darauf.
Eine „ordentliche“ Haltung ist für sie nur mit Anstrengung zu halten und erschwert damit jegliche intellektuelle Arbeit.
Da die Bewegung des Kopfes symmetrische Bewegungen in Armen und Beinen auslöst, führt dies zu motorischer Ungeschicklichkeit. Besonders rhythmische Bewegungen fallen schwer.
Anzeichen
- Ungeschicklichkeit
- Zehenspitzengang
- Mangelnde Hand-Augen-Kopf-Koordination -> Probleme mit dem Abschreiben von der Tafel
- Krabbelt nicht "richtig" bzw. überspringt das Krabbeln und steht früh auf und beginnt zu laufen
- Schwierigkeiten nach dem Aufblicken wieder die richtige Zeile im Lesebuch zu finden
- Beine/Füße wickeln sich um die Stuhlbeine
- sitzt gern im Fersensitz
- mündliche Leistung ist besser als die Schriftliche
- Schwierigkeiten bei Übergängen von einem zum anderen Lebensabschnitt
Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex (ATNR)
In der Fechterstellung ist der Kopf zu einer Seite rotiert, befindet sich also in Seitenlage. Die Extremitäten der Gesichtsseite sind gestreckt, die der Hinterhauptsseite befinden sich in Beugestellung. Außerdem ist auf der Gesichtsseite eine eher geöffnete, auf der Hinterhauptsseite eine eher geschlossene Faust zu beobachten.
Der Reflex unterstützt die einseitigen homolateralen Bewegungen und die Entwicklung mehrerer kognitiver Systeme, wie z.B. die auditive und die visuelle Wahrnehmung, die Raumorientierung und das Wahrnehmungsgedächtnis.
Er ist besonders verantwortlich für die linke Hemisphäre und für das Sprech- und Sprachzentrum.
Er hilft bei der Entwicklung des STNR und ist z. B. schon während der Schwangerschaft als Trampelbewegung spürbar. Während der Geburt unterstützen die ATNR-Bewegungen die Wehenkontraktionen. Die Geburt wird ausgelöst durch das Kind und ist immer eine Zusammenarbeit von Mutter und Kind! Der ATNR ist der Gegenspieler des Perez-Reflexes und verschafft dem Kind eine Verschnaufpause unter der Geburt.
Wenn Reste des Reflexes über die natürliche Zeit hinaus erhalten bleiben, bedeutet dies, dass das Kind ständig durch Kopfdrehungen ausgelöste unerwünschte Bewegungen vor allem der Arme unterdrücken und ausgleichen muss.
Sitzt das Kind am Tisch und soll schreiben, so dreht es den Kopf zur Schreibhand. Der Arm hat dadurch die Tendenz sich zu strecken, die Hand möchte sich öffnen und sie muss mit Anstrengung in der richtigen Position gehalten werden. Dies führt zu einer Verkrampfung. Das Kind schreibt mit übermäßigem Druck und hat eine schlechte Handschrift.
Anzeichen
- das Drehen des Kopfes löst Mitbewegungen der Extremitäten aus
- Schwierigkeiten, Linien beim Schreiben einzuhalten
- Stiftführung ist verkrampft und starkes Aufdrücken
- auditive oder visuelle Wahrnehmungsprobleme
- seitlicher Blick zur Tafel oder aufs Heft erschwert Abschreiben
- einzelne Buchstaben, Satzzeichen oder sogar ganze Wörter werden überlesen
- Verzögerung in der Augenfolgebewegung - flüssiges Lesen nicht möglich
- Schwierigkeiten, die Körpermittellinie zu überkreuzen
- mündlich besser als schriftlich, Gedanken können schwer zu Papier gebracht werden
- Schwierigkeiten in der Rechtschreibung, Grammatik und/oder Rechnen
Amphibien Reflex
Anzeichen
- Kind ist nicht gekrabbelt
- als Kleinkind Probleme sich zu rollen
- stolpert oft die Treppe hoch
- Schwerfälligkeiten des Unterkörpers
- Schüchternheit
- geringes Selbstvertrauen
Spinaler Galant
Kinder, bei denen der Spinale Galantreflex nicht integriert ist, sind motorisch unruhig und zeigen ein hyperaktives Verhalten.
Der Reflex kann bereits durch enge Kleidung, einem Gürtel oder einfaches Anlehnen bei der Stuhllehne ausgelöst werden und somit zum Herumzappeln führen. Daher tragen diese Kinder am liebsten lockere Kleidung. Einige dieser Kinder werden zu Bettnässern.
Anzeichen
- motorische Unruhe und Hyperaktivität
- einseitige Hüftrotation, Skoliose, schiefer Gang
- schlechtes Kurzzeitgedächtnis
- schlechte Handschrift
- Konzentrationsprobleme
- enge Kleidung oder Gürtel werden nicht toleriert
- überempfindlich am Rücken
- mangelnde Blasenkontrolle, Bettnässen bis nach dem 5. Lebensjahr
- Fehlen von flüssigen Bewegungsabläufen
- unruhiger Schlaf
Frühkindliche Reflexe und Legasthenie / ADHS
In diesen Blogbeiträgen gehe ich noch auf den Zusammenhang von frühkindlichen Reflexen und Legasthenie bzw. ADHS ein.